Zeit zu Trauern

Der Tod ist in unserer Gesellschaft eine Randerscheinung. Wenn dann ein Angehöriger oder Freund stirbt, sind viele von uns mit der Situation überfordert und wissen nicht, wie sie sich verhalten sollen und dürfen. Anstatt zu trauern, versuchen sie den Erwartungen an sie zu entsprechen, und verdrängen ihre Gefühle. Doch dadurch bleibt ihnen die heilende Kraft der Trauer verwehrt.

Bildquelle: pixabay.com, Alexas_Fotos

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Die Trauer-Phasen

Bei der Erforschung der Trauer ist Verena Kast eine Vorreiterin. Sie entwickelte das Phasenmodell der Trauer, das Parallelen zum Ablauf einer traumatischen Krise hat, was nicht weiter verwundert, denn der Tod eines Angehörigen kommt manchmal überraschend, und verändert unser Leben oft nachhaltig, was uns in eine Krise stürzen kann. Wir durchleben in dieser Zeit die einzelnen Phasen, springen zwischen ihnen hin und her oder lassen manche auch aus.

Zuerst kommt meistens die  Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens. „Das kann nicht sein!“. Danach brechen entweder Emotionen durch, wir schreien, weinen, zittern. Ja sogar lachen ist „normal“ in dieser Ausnahmesituation, denn es löst Spannung auf. Oder das Gegenteil tritt ein und wir werden ganz ruhig. Andere Menschen halten uns womöglich für gefühlskalt, doch in Wahrheit sind die Emotionen da, aber wir verdrängen sie, weil wir sie in ihrer Gewalt zu diesem Zeitpunkt nicht verkraften könnten. Unsere Emotionen sind meist auch ambivalent. Wenn ein Angehöriger leiden musste, hat ein Teil in uns ihm manchmal auch einen schnellen Tod gewünscht. Doch nicht nur ihm, auch uns wäre dadurch viel Leid erspart geblieben, denn hilflos mitzuleiden ist wie Folter. Diese Gedanken erlauben wir uns aber kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen und schieben sie beschämt beiseite. Dabei sind ambivalente Gedanken in der Trauerphase ganz normal, und es gibt weder gute noch schlechte Emotionen und Reaktionen. Es folgt irgendwann die Phase des Suchens, wir möchten dem Geschehenen einen Sinn geben, beschäftigen uns mit Gott und dem, was nach dem Tod kommt. Langsam akzeptieren wir, dass der geliebte Mensch nicht mehr da ist. Diese Erkenntnisse und Akzeptanz ermöglichen einen neuen Selbst- und Weltbezug und unser Weiterleben.

Der Sinn der Trauer

Es ist eigentlich falsch vom Trauerjahr zu sprechen, denn die Dauer der Trauerphase ist schwer abzuschätzen und sehr individuell. Sigmund Freud bezeichnete es als „Trauerarbeit“, weil wir aktiv einen Prozess der Loslösung durchmachen. Entwickelt hat sich die Trauer aus dem Opferkult der Altsteinzeit. Unser Gehirn ist bei der Trauer masiv gefordert. Wir denken in der ersten Zeit sehr oft und intensiv an den Verstorbenen. Dabei vergessen wir manchmal auf die negativen Seiten an ihm und stellen ihn Quasi auf ein Podest. Wir betrachten Fotos, erinnern uns an den Verstorbenen und begegnen ihm oftmals im Traum. Das alles macht Sinn, denn dadurch holen wir ihn in die Gegenwart zurück, wir „re-präsentieren“ ihn. Und hier kommt einer Fähigkeit des Gehirns eine zentrale Rolle im Heilungsprozess zu. Je öfter wir Dinge erleben, desto weniger sind wir emotional ergriffen durch sie. Der erste Kuss – unglaublich intensiv. Der 1000. Kuss – naja. Wir gewöhnen uns daran. Und genau dasselbe passiert, wenn wir uns an den Verstorbenen und die Erlebnisse mit ihm erinnern. Anfangs –wow. Beim wieder und wieder „erleben“  verebben die Emotionen, sodass mit der Zeit auch die Wehmut und der Schmerz über den Verlust verschwindet. Wir können dann in Liebe an den Verstorbenen zurück denken, ohne gleichzeitig Trauer zu empfinden. Dann sind wir auch bereit, die rosarote Brille wieder abzunehmen und ihn so zu sehen, wie er wirklich war. Als Mensch mit Stärken und Schwächen, der in unserem Leben einen besonderen Platz eingenommen hat und auch weiterhin in unserem Herzen wohnt. Die Verbindung ist nach wie vor da, aber die Art der Beziehung ist von nun an eine andere. Der heilende Ablösungsprozess der Trauer ist dann zu Ende, wenn wir den Tod in unser Leben intergiert haben und trotzdem unser Leben fortführen können. Wenn wir uns selbst gestatten, wieder glücklich zu sein.

Ich empfehle meinen Klienten gerne die Bücher von Roland Kachler, vor allem „Meine Trauer wird dich finden“. Er ermutigt zu einer anderen Betrachtung des Todes und regt an, die Beziehung zum Verstorbenen neu zu gestalten. Seine Bücher geben Kraft und Liebe für das Durchleben des Trauerprozesses.